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Bundesliga zwischen Corona und Kaderplanung Zeit für Abenteuer

Die Pandemie verändert den Transfermarkt. Preise fallen, neue Phänomene entstehen. Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic erklärt, wie er sein Team bauen will. Er glaubt, dass jetzt Optimisten gefragt sind.

Frankfurts Verteidiger Danny da Costa (hinten) jubelt mit Stürmer Goncalo Paciencia

Frankfurts Verteidiger Danny da Costa (hinten) jubelt mit Stürmer Goncalo Paciencia

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Michael Probst / AP

Fredi Bobic dachte immer, dass er ein besonderes Gespür für die Bewegungen des Fußballgeschäfts besitzt. Der 48-Jährige nennt es: den Transfermarkt "fühlen". Wie er atmet, mal schneller, hyperventilierend fast, und dann wieder langsamer, geduldiger. Als Sporting Lissabon vor einem Jahr eine große Summe für den Stürmer Bas Dost verlangte, ahnte der Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, dass er ihn für die Hälfte bekommen konnte. Er müsse nur warten, so erzählt er es heute. Dost ging kurz vor Ende der Wechselfrist für sieben Millionen Euro nach Frankfurt.

Diese Transfermarktfühligkeit gelernt habe er in den vielen Jahre im Geschäft, sagt Bobic dem SPIEGEL. Sie basiert auf Erfahrungen. Aber jetzt, durch die Coronakrise, "ist dieses Gefühl weg". Niemand im Fußball hat Erfahrungen mit den Folgen einer Pandemie.

Während des Telefonats hört man bei Bobic in Frankfurt Vögel zwitschern. Es klingt nach Frühling, klassischerweise eine arbeitsreiche Phase für Manager. Im April planen sie oft den Kader für die neue Saison. Im Normalfall ist das eine Zeit der Fantasie. "Wir hatten schon vieles von dem vorbereitet, was wir für den Kader der nächsten Saison machen wollten", sagt Bobic, "aber das alles ist jetzt komplett für die Tonne."

Frankfurts Sportvorstand Bobic: Stratege des kleinen Geldes

Frankfurts Sportvorstand Bobic: Stratege des kleinen Geldes

Foto: Uwe Anspach/ dpa

Covid-19 hat den Fußball vorübergehend stillgelegt wie eine Fabrikanlage. Wenn sie irgendwann wieder läuft, wird sich der Markt für ihre Produkte verändert haben. In der Branche geht man davon aus, dass die Preise für Spieler fallen werden. Wo Klubs um ihre Liquidität bangen, zahlt niemand mehr horrende Ablösesummen. Fehlende TV-Geld-Einnahmen führen zu wirtschaftlichen Problemen. Mit Ticketverkäufen können die Klubs womöglich bis Jahresende nicht planen, dazu kommen ausbleibende Werbeerträge. "Ein riesiger Rattenschwanz" sei das, sagt Bobic, und dieser erfordere nun ein konservatives Denken auf dem Transfermarkt.

In der Zeit vor Corona war Bobic ein Stratege des kleinen Geldes, wenn auch kein bisschen konservativ. Er war eher ein Transfermarktabenteurer, der einen Weg durch die Hintertür finden musste, weil er sich den Eintritt in die Markthalle der Großgeschäfte nicht leisten konnte. Als er 2016 bei der Eintracht anfing, hatte er 2,5 Millionen Euro für neue Spieler zur Verfügung. Drei Jahre später schaffte es Frankfurt ins Europa-League-Halbfinale, hatte zuvor auch den DFB-Pokal gewonnen.

Bobic bastelte sich mit Bordmitteln einen starken Kader zusammen: Leihgeschäfte mit Kaufoptionen und dem Potenzial zu einem ertragreichen Wiederverkauf waren seine Spezialität. Er und sein umtriebiger Chefscout Ben Manga fanden Spieler, die unter Wert geblieben waren, wie Stürmer Luka Jovic. Bobic lieh ihn erst von Benfica Lissabon aus, kaufte Jovic dann für sieben Millionen Euro und gab ihn 2019 für 60 Millionen Euro an Real Madrid ab.

Zwei parallele Strategien zur Kaderplanung

Doch die Welt, in der Jovic 60 Millionen Euro wert war, ist untergegangen. Den Markt muss man zukünftig wohl in eine Prä- und eine Post-Corona-Zeit unterteilen. Und in Letzterer wird nun das große Basteln für die allermeisten Klubverantwortlichen beginnen müssen, glaubt Bobic. "In dieser Situation sind Managementqualitäten gefragt", sagt er. Es braucht jetzt wieder Fantasie.

Bei Eintracht Frankfurt hat er dafür zwei unterschiedliche Strategien entworfen. Strategie A basiert auf der Annahme, kaum Geld zum Einkaufen zu besitzen, wenn das Transferfenster öffnet. Hierbei schaut Bobic: "Welche Spieler kann ich preiswert erwerben oder ausleihen? Auch die großen Klubs müssen sparen und ihre Ausgaben drosseln. So könnte man vielleicht einen tollen Spieler für wenig Geld bekommen." Strategie B geht davon aus, dass zumindest ein bisschen mehr Geld zur Verfügung stehen könnte. Bobic nennt es "einen Schattenkader mit Spielern erdenken, die man gern verpflichten würde". Fußballmanager sind Wenn-dann-Menschen. Doch Corona macht es komplizierter, denn über das Wenn bestimmen jetzt Politiker und Virologen.

Bobic glaubt, dass das Kaderbasteln zu einigen Corona-bedingten Phänomenen führen könnte: Leihgeschäfte, wie sie seine Spezialität waren, werden vielerorts noch populärer werden als ohnehin schon. Die abgebenden Vereine würden die Personalkosten sparen, die aufnehmenden Klubs die Ablösesummen. An eine Zunahme von Tauschgeschäften, wie das des Stürmers Ante Rebic, den Bobic für André Silva bei der AC Milan eintauschte, glaubt der Sportvorstand nicht. Das würden Finanzleute nicht gern sehen, weil jeder Transfer auch einen buchhalterischen Wert benötige, der dann fehlen würde, erklärt Bobic.

Ausstiegsklauseln, ein Muster ohne Wert

Wären wir bei den Ausstiegsklauseln: "Sie sind jetzt vielerorts ein Muster ohne Wert", sagt Bobic. "Die Summen, die dort aufgeführt sind, werden wohl vorerst nicht mehr geboten werden. Vereine werden jetzt bereit sein zu verhandeln." Dass etwa Ligakonkurrent Werder Bremen 38 Millionen Euro für den Stürmer Milot Rashica im Sommer erlösen wird, die Summe, die in einer Ausstiegsklausel seines Vertrags festgehalten sein soll, ist unwahrscheinlich. Glaubt man Bobic, könnten sich zudem bald die Kader verkleinern, weil Personalkosten gespart werden müssen. "Es wird wohl auch viele arbeitslose Spieler in der Branche geben", sagt er.

Mit den großen Deals des Sommers rechnet Bobic eher nicht. In Deutschland wären das etwa der Weggang von Kai Havertz aus Leverkusen, der für eine Summe jenseits der 100 Millionen Euro erwartet worden war, oder auch der Wechsel von Leroy Sané von Manchester City zum FC Bayern für eine ähnliche Summe. "Entweder die Spieler kommen für einen geringeren Preis, oder die Transfers werden in den Winter vertagt", glaubt Bobic.

Kai Havertz von Bayer Leverkusen galt bisher als ein Spieler, der für mehr als 100 Millionen Euro wechseln würde. Das könnte sich jetzt ändern.

Kai Havertz von Bayer Leverkusen galt bisher als ein Spieler, der für mehr als 100 Millionen Euro wechseln würde. Das könnte sich jetzt ändern.

Foto: Federico Gambarini DPA

Ohnehin könnte der Winter der neue Transfersommer werden. Eigentlich kaufen Manager in der Bundesliga ungern im Januar ein, weil das Angebot dann kleiner ist und die Preise höher sind. Doch sollte der kommende Sommer so von der Pandemie überschattet werden wie erwartet, könnten die Manager ihre Aktivitäten um ein halbes Jahr aufschieben. Der Weltverband Fifa hat eine Arbeitsgruppe gebildet, um eine Anpassung des Transferfensters zu durchdenken. Man hört von zwei Varianten: einer Öffnung der Sommertransferperiode bis Ende September, was am wahrscheinlichsten ist, und der durchgängigen Wechselmöglichkeit von Juli bis Januar.

Ein unschönes Nebenprodukt der Coronakrise sei die Veränderung der Gespräche, sagt Bobic. Über ihre Zukunft und die Krise müsse er fernmündlich mit den Spielern sprechen. Der Fußballmanager Bobic aber funktioniert am besten wie der frühere Stürmer Bobic: auf dem direkten Weg. Er überzeugt gern von Angesicht zu Angesicht. Spieler zum Gehaltsverzicht zu bewegen, sei eben am Telefon oder via Skype schwer, sagt er. Ähnlich ist es mit Spielern, die er von Frankfurt überzeugen will.

Doch eigentlich hat sich Bobic vorgenommen, die Krise nicht als Krise zu sehen. "Ich versuche, alles auch als Chance wahrzunehmen", sagt er. Er frage sich oft: Wo kann man jetzt vielleicht auch ein Schnäppchen machen? In der Corona-Zeit sind Optimisten gefragt. Ein bisschen Abenteuergeist bei der Suche nach der Hintertür zum konkurrenzfähigen Kader. "Wenn man nur negativ darauf schaut, macht man bloß Kompromisse", sagt Fredi Bobic, "und Kompromisse sind schlecht in diesem Geschäft." Sie fühlen sich nicht richtig an.