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Alexander Nübel beim FC Bayern Die Fallhöhe nach dem Absprung

Eines der größten Torwarttalente Europas wechselt auf die Ersatzbank des FC Bayern statt zu einem Klub, bei dem es auch spielen könnte: Alexander Nübel will Manuel Neuer beerben. Aber hat er auch die Qualität dafür?
Alexander Nübel wechselte 2015 aus Paderborn nach Gelsenkirchen

Alexander Nübel wechselte 2015 aus Paderborn nach Gelsenkirchen

Foto: Uwe Kraft/ imago images

Dass Alexander Nübel ein Schwellenspieler ist, einer auf dem Sprung zur Weltklasse, aber noch nicht dort angekommen, das konnte der 23 Jahre alte Torwart des FC Schalke 04 an den Angeboten ablesen, die bis Jahresende für ihn eingegangen waren.

Um Nübel bemühten sich nach SPIEGEL-Informationen insgesamt zwölf Vereine. Darunter waren Großklubs, die eigentlich über sehr taugliche Schlussmänner verfügen. Atlético Madrid fragte an, wo aktuell mit Jan Oblak einer der besten Torhüter der Welt spielt. Auch Manchester United erkundigte sich, obwohl mit David de Gea ein ebensolcher Topspieler unter Vertrag steht wie bei der AC Mailand, ein weiterer Interessent, bei der mit dem 20 Jahre alten Gianluigi Donnarumma eines der größten Torwarttalente des internationalen Fußballs spielt.

Da Nübels Vertrag auf Schalke im Sommer ausläuft und eine Ablösezahlung somit hinfällig ist, schien seine Verpflichtung für die Klubs finanziell sowie sportlich lukrativ zu sein. Sie wollten für die Zukunft vorsorgen.

Von allen zwölf Interessensbekundungen hörte sich Nübel nur vier genauer an. Darunter die des FC Barcelona. Beim katalanischen Weltklub hält seit ein paar Jahren Marc-André ter Stegen so gut, dass er Ansprüche auf die Nachfolge von Manuel Neuer vom FC Bayern im Tor der deutschen Nationalelf stellen kann. Nübel lehnte die Offerte höflich ab, denn sie hätte ihn erst einmal weggeführt von seinem Ziel: Barça wollte den Deutschen zunächst für drei Jahre nach Valencia ausleihen, um dann für einen möglichen Abgang ter Stegens gerüstet zu sein.

Der Karriereplan hat überzeugt

Nübel dagegen wollte schon jetzt Teil eines Eliteklubs werden. Er wollte damit die Schwelle übertreten, sich selbst als Neuer-Nachfolger positionieren. Und er ließ sich überzeugen, dass es dafür am sinnvollsten ist, Neuer so nahe wie möglich zu kommen - zunächst als sein Vertreter.

Manuel Neuer (links) wird seinen Stammplatz gegen Alexander Nübel möglichst lange verteidigen wollen

Manuel Neuer (links) wird seinen Stammplatz gegen Alexander Nübel möglichst lange verteidigen wollen

Foto: Arne Dedert / DPA

Der FC Bayern hat nun offiziell verkündet, dass Nübel ab der Saison 2020/21 in München spielen wird. Der Schlussmann tauscht damit den Stammplatz in Gelsenkirchen gegen die Ersatzbank in München, da Neuer auch über sein aktuelles Vertragsende 2021 womöglich bis 2023 beim FC Bayern gehalten werden soll und vorerst weiter als Nummer eins gilt.

Somit stellen sich mindestens zwei Fragen: Warum zieht es eines der größten Torwarttalente Europas vor, die Nummer zwei in München zu sein, statt zu einem Klub zu wechseln, bei dem er auch regelmäßig spielt? Und: Hat Nübel wirklich die Qualität, Neuer eines Tages ersetzen zu können?

Aus Nübels Umfeld heißt es, der FC Bayern habe einen Karriereplan vorgelegt, der den U21-Vizeeuropameister von allen am meisten überzeugte. Langsam soll er sich an München, das höhere Niveau und mithin die gesteigerte Erwartungshaltung gewöhnen, um dann irgendwann die Wachablösung vorzunehmen.

"Hat sich den schwersten Weg ausgesucht"

Nübel glaubt darüber hinaus nicht, dass er sich als junger Torwart ausschließlich weiterentwickelt, wenn er regelmäßig spielt. Allein von den Trainingseinheiten gegen Stürmer wie Robert Lewandowski erhofft er sich Fortschritte. "Er soll reinwachsen in eine solche Topmannschaft", sagt ein Nübel-Vertrauter dem SPIEGEL. Noch sei ein qualitativer Unterschied zu Neuer zu erkennen. "Aber er kann in ein, zwei Jahren auf dieses Niveau kommen."

Die Fallhöhe ist allerdings groß: Nübel gilt jetzt als eine mögliche Nummer eins der Zukunft in München und vielleicht auch in der deutschen Nationalelf. Doch seine Karriere könnte stagnieren, wenn er bis zu einem etwaigen Abgang Neuers 2023 kaum zum Einsatz kommt und so nicht aus dem Schatten des Weltmeisters von 2014 treten kann. Es könnten verlorene Jahre in München werden. "Er hat sich den schwersten Weg ausgesucht", sagt der Nübel-Vertraute, "aber er kann damit auch sehr vieles gewinnen."

Auch Ralf Fährmann (oben) schien für Alexander Nübel (unten) anfangs eine Nummer zu groß - später löste er ihn im Schalker Tor ab

Auch Ralf Fährmann (oben) schien für Alexander Nübel (unten) anfangs eine Nummer zu groß - später löste er ihn im Schalker Tor ab

Foto: Ina Fassbender/ dpa

Erst seit einem Jahr ist Nübel Stammtorhüter auf Schalke, er verdrängte Ralf Fährmann und bestritt seither 41 Profispiele. Zwar verfügt er damit über wesentlich weniger Erfahrung als Neuer zum Zeitpunkt seines Wechsels von Schalke zum FC Bayern 2011. Der hatte damals schon mehr als 200 Pflichtspiele für Schalke bestritten, den DFB-Pokal gewonnen und im Halbfinale der Champions League gestanden. Doch Nübel besitzt ähnlich gute Anlagen.

Ideale körperliche Voraussetzungen

Mit 1,93 Metern und 86 Kilogramm sind seine körperlichen Voraussetzungen perfekt. Für seine Größe sind Nübels Bewegungen unheimlich explosiv. Vor einem drohenden Torschuss macht er kleine, aber schnelle Sprünge auf den Fußballen. Dadurch erhöht er seine Reaktionsschnelligkeit und bewegt sich im möglichen Schussradius fort, ohne auf dem falschen Fuß erwischt werden zu können.

Nübels Stellungsspiel ist eine seiner Stärken. Auch seine Strafraumbeherrschung ist für einen Torhüter seines Alters sehr gut. Eine seiner größten Qualitäten ist aber das Spiel mit dem Fuß: Mit gezielten Flugbällen auf die Halbpositionen und genauen Pässen unter Gegnerdruck ist Nübel prädestiniert, auf höchstem Niveau der erste Aufbauspieler seines Teams zu sein. Ebenso, wie es bei den Bayern spätestens seit Neuer gewünscht ist.

Alexander Nübel bei der U21-EM im Vorrundenspiel gegen Österreich

Alexander Nübel bei der U21-EM im Vorrundenspiel gegen Österreich

Foto: Robert Jaeger/DPA

Zwar liegt Nübels Passquote  in der Bundesliga laut der Plattform "WhoScored.com" bei nur 66,5 Prozent (Neuer liegt bei 89,1 Prozent ), sie ist aber auch dem Schalker Spielstil geschuldet, der tiefe Pässe in die gegnerische Hälfte und den Kampf um den zweiten Ball vorsieht. Bei der U21-EM 2019 lag Nübels Passquote noch bei 83,9 Prozent. Das Team von Trainer Stefan Kuntz spielt nahezu keine langen Bälle.

Lehren der schwierigen Kahn-Nachfolge

Doch Nübel ist bisweilen noch inkonstant. Zu häufig lässt er eigentlich ungefährliche Schüsse durchrutschen, oder geht vor dem Tor in zu risikoreiche Duelle wie beim Zusammenprall mit Frankfurts Mijat Gacinovic am 15. Spieltag, der ihm vier Spiele Sperre einbrachte. In bisher 35 Bundesligaspielen sah er bereits zweimal die Rote Karte. Auf Schalke waren Fehler angesichts von Nübels Unerfahrenheit eingeplant. In München wird man das anders sehen.

Die Intention des Rekordmeister scheint dennoch klar: Die Bayern wollen nicht wieder den gleichen Fehler machen wie 2008. Nach Oliver Kahns Abschied entwickelte sich damals ein dreijähriges Vakuum im Münchner Tor, das weder von Michael Rensing noch von Thomas Kraft oder Hans-Jörg Butt endgültig gefüllt werden konnte. Erst Neuer genügte den Ansprüchen.

Vor diesem Hintergrund ist die Nübel-Verpflichtung für die Bayern sinnvoll. Ohne Ablöse haben sie einen hochtalentierten Torwart erworben. Kann er Neuer irgendwann ersetzen, ist die Rechnung aufgegangen. Wenn nicht, war sie nicht teuer. Ob der Wechsel aber auch für Nübel sinnvoll war, wird sich wohl erst in ein paar Jahren zeigen.