Das war meine Rettung

Liebe Gemeinde daheim und hier in der Kirche, so heißt eine Rubrik im Magazin der Wochenzeitung "Die Zeit”. Das war meine Rettung. Ich liebe diese Seite: Menschen erzählen von dieser einen lebensrettenden Wendung ihres Lebens. Dem Neuanfang oder dem lang ersehnten Ende. Manchmal auch von Erfolgen, die viel zu lange auf sich warten ließen.

Ich finde das so tröstlich, diese Geschichten zu lesen: Weil darin die Verheißung versteckt ist, dass es für jeden eine Rettung geben könne. Auch für mich. Ich glaube, es gibt diese Seite, weil sich jede und jeder damit identifizieren kann, dass man manchmal eine Rettung braucht. Aus einem Leben, das an die eigenen Grenzen gestoßen ist. Wir haben schon blaue Flecken davon. Die Arme tun uns weh, weil wir so fest an allen Seilen gezogen haben, die uns herausziehen sollten. Um dann schließlich stehen zu bleiben und zu sagen. Das war‘s. Ich kann nicht mehr. Ich kann mich da nicht mehr retten.

Wenn die Rettung kommt, versteht man die Welt nicht mehr

In dem Moment, wo wir das erkennen, reagieren Menschen sehr unterschiedlich: Mit Verdrängen und Wegschieben. Mit Ignorieren, Überspielen. Oder mit Weglaufen, laut werden, Das Gegenteil behaupten. Diese sehr unterschiedlichen Rettungsversuche funktionieren meistens sehr gut. So gut, dass man sie sich manchmal sogar selber glaubt und vergisst, dass man eigentlich gerettet werden wollte. Wenn dann die Rettung kommt, die tatsächlich eine Rettung und keine Ablenkung und kein Ausweichen ist, versteht man plötzlich die Welt nicht mehr. Und manchmal fühlt sich die Rettung dann nicht sanft, gut und richtig an. Sondern hart, stürmisch, unnachgiebig und vor allem unglaublich überfordernd.

Eine berühmte Rettungsgeschichte, die mich sehr berührt, ist die von Jona. Er erhält einen Auftrag, den er nicht erfüllen will: Er soll nach Ninive gehen und die Menschen dort darüber aufklären, dass sie nicht so leben, wie es Gott gefällt. Predige wider sie, sagt Gott. Und natürlich ist das keine schöne Aufgabe für Jona. Sie ist sogar höchst unangenehm. Er erwidert allerdings nichts. Statt zu antworten, zu argumentieren, statt sich zu weigern, läuft er heimlich davon. Zum nächsten Schiff im Hafen, das genau in die entgegengesetzte Richtung fährt. Von außen betrachtet ein völlig skurriler Plan: Vor Gott davonlaufen. Noch dazu als Prophet, quasi als direkter Mitarbeiter Gottes.

Davonlaufen ist beliebt

Aber das Davonlaufen ist eben auch eine beliebte Art und Weise mit dem Leben umzugehen. Vor allem dann, wenn es uns zu nahe kommt. Wenn das mit Bedacht sortierte und gestapelte Kartenhaus unseres Lebens zusammen fällt. Weil Gefühle aufbrechen, die wir nicht gebrauchen können. Schrille Alarmglocken klingeln uns dann in den Ohren. Wie der Rauchmelder letztens in meinem Flur. Ich bin auf einen Hocker gestiegen und wollte ihn ausmachen. Ich habe ihn abgenommen, den Schalter nicht gefunden. Und ihn schließlich wütend und ungeduldig in die Ecke geschmissen, nur damit dieser Ton endlich aufhört.

 Wenn Jona davonläuft, ist es ähnlich. Es soll einfach aufhören. Die Stimme soll aufhören, etwas von mir zu verlangen. Etwas von dem ich tief drinnen weiß, dass es sein muss. Bei Jona muss es sein, weil es zum Prophetenjob dazu gehört, Gottes Worte zu sagen. Bei uns muss es sein, weil man vor aufbrechenden Gefühlen nicht dauerhaft davonlaufen kann. Wir können sie nicht stumm stellen. Für gewöhnlich stellen wir sie stattdessen auf Vibrationsalarm, die verborgenen Gefühle, Sehnsüchte und Träume. Dann klingeln sie nicht mehr schrill und schmerzhaft, sondern summen leise unter der Normalität unseres Alltags.

Da, wo wir uns an allem festhalten, was uns Sicherheit gibt. Montagabend Spazieren gehen mit Sabine, Mittwoch auf die Enkelkinder aufpassen, Samstag ist Markttag.

Alltage sind wunderbar, weil sie uns festhalten, uns stabilisieren und entlasten. Nur liegen sie manchmal wie eine zu schwere Decke auf uns, die das leise Summen in uns übertönt. Zieht uns jemand diese Decke weg, wird es kalt. In eisigem Wind steht Jona auf dem Schiff mitten im Meer. Ein Sturm ist aufgezogen, das Schiff, auf dem er fliehen wollte, droht zu kentern. Um den stürmischen Gott, der das Meer in Aufruhr bringt, zu besänftigen, lässt er sich ins Meer werfen. Kopfüber in die Fluten. Er ist sich sicher, dass er untergehen wird. Und er nimmt es in Kauf.

Es ist eh schon egal

Es ist diese "jetzt ist es auch schon egal Stimmung", in die er fällt. Eine ähnliche Stimmung wie in vielen Familien, die von einer Quarantäne in die nächste fallen. Die irgendwann einfach kapitulieren, den Osterurlaub zum dritten Mal in Folge aus dem Kalender streichen. Es ist doch eh schon egal. Diese Stimmung greift grade um sich, denk ich manchmal. Der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise - es wird doch sowieso alles immer schlimmer. Die Resignation übernimmt das Ruder, nimmt es der Hoffnung aus der Hand. Es ist zu viel.

"Der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach: Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme.

Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich,dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.

Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott! Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den Herrn, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade."

Was der Untergang sein sollte, wurde Rettung. Da wo die Wogen und Wellen waren, da, wo das Wasser tiefer war als je gedacht. Da, wo nichts Gutes mehr sein konnte. Da war die Rettung. Da, wo es eigentlich nicht mehr gut gehen konnte - Da wird ein Fischbauch zur Rettung. 

Es ist eine unmögliche Geschichte. wenn alles zu Ende geht, kann auch alles wieder neu anfangen. Jona denkt, der Tod sei seine Strafe. Für das Weglaufen, für das nicht-erfüllen seiner Pflicht. Aber das was kommt, ist keine Strafe, sondern seine Rettung. 

Ehrlich gesagt: Für mich klingt das fast zynisch. Ein bisschen wie: "Alles, auch das Schlimmste, hat einen Sinn." Und das wäre grausam. 

Vielleicht muss man es deshalb auseinander nehmen und ganz schlicht sagen: Aus dem Schlimmsten, was Dir passieren kann, gibt es eine Rettung.

Aus der Tiefe. Aus dem Sturz ins Bodenlose. Es gibt eine Rettung. Aber ziemlich sicher sieht sie nicht so aus, wie Du sie Dir vorgestellt hast. Sie folgt nicht Deinen Vorstellungen und Idealen, sie entzieht sich Deinen Möglichkeiten. Du hättest Dir nie vorstellen können, dass so Deine Rettung aussehen könnte. Ein Fisch, der Dich verschluckt und in dessen Bauch Du drei Tage lang Zeit hast, um Dich auszuruhen. Ein Ort, an dem Du nie sein wolltest und der jetzt zu Deiner Rettung wird.

Du wolltest nie in die Stadt ziehen, aber jetzt, wo das Haus ohne die Kinder so leer ist, ist es deine Rettung, dass da auf der Straße so viel Leben ist. Du wolltest nie in einem Büro arbeiten, aber jetzt, wo Du Angst hast vor so viel Verantwortung da draußen, ist es Deine Rettung. Du hast die Stille gesucht, weil Du dachtest, Du müsstest zu Ruhe kommen. Und dann stehst Du auf einmal am tosenden Meer und es wird endlich gut.

"Die sich halten an das Nichtige verlassen ihre Gnade", sagt Jona in seinem Gebet. Da, wo man sich an die eigene Vorstellung von Rettung klammert, da kann man keine Gnade empfangen. Weil man denkt, man wüsste genau, was zu tun ist, damit es besser wird. Aber vielleicht liegt der Neuanfang ganz woanders. Vielleicht fühlt sich die Rettung ganz anders an. Nicht strahlend, hell und warm, sondern kalt, nass und rutschig. Wenn die eigene Lieblingslösung nicht mehr da ist und mich der Weg in die Tiefe führt, dann dringt die Gnade zu mir durch. Durch das Wasser. Eine Fischbauch-Rettung eben. Und passt so eine Fischbauch-Rettung passt auch ganz gut zu Ostern. Auferstehung geschieht im Verborgenen. Der Ostermontag ist der Tag der ungeahnten, dunklen Rettungsgeschichten.

Der Tag der verborgenen Auferstehung

Man bemerkt sie erst, wenn man eine Zeit lang unterwegs ist, so wie die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Der Mann, den sie getroffen haben. Der sieht nicht nach Auferstehung aus, eher nach müder Wanderer. So wie die Rettung sich auch in unserem Leben nicht immer nach Auferstehung anfühlt. Sondern manchmal sogar wie ein Zusammenbruch, wie ein Ende mit Schrecken. Manchmal ist das Aufgeben die Rettung und nicht das Weitermachen. Manchmal ist das Loslassen von dem was man liebt, der einzige Weg, sich selbst nicht zu verlieren. Und dann sitzt du da unten im Fischbauch, Wasser umgibt Dich, Tiefe umringt Dich, Schilf bedeckt deinen Kopf. Nicht die helle, warme Sonne ist Deine Auferstehung, nicht der Höhenflug. Sondern der Weg nach unten, ins Dunkle, Tiefe. Da wo Du nicht beweisen musst, dass Du es kannst, dass Du es schaffst.

Da, wo Du Deine Kraft loslassen kannst, damit die Gnade zu Dir durchdringen kann. Damit beginnt das neue Leben. Da, wo die Gnade Gottes Dich umgibt, wie ein schützender Bauch. Da, wo Du nie hinwolltest, da beginnt Dein Leben. Amen.