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„Wir waren die Übermannschaft von Europa“ Uli Hoeneß im Interview: Bleibt 50+1, hält die Bundesliga nicht mehr mit

Von Michael Novak | 18.06.2022, 01:00 Uhr

Im exklusiven Interview erinnert sich der 70-jährige Uli Hoeneß, Ehrenpräsident des FC Bayern München an sein Jahr 1972 mit EM-Triumph, Titelentscheidung am letzten Bundesliga-Spieltag, das Attentat auf Israels Olympia-Team und diskutiert aktuelle Fragen des Fußballs.

Rasanter Aufstieg und Schlag auf Schlag prägende Erlebnisse: Vor 50 Jahren erlebte der junge Uli Hoeneß besondere Momente. Mit der herausragenden Nationalelf wird er nach einem 2:1 im Halbfinale gegen Gastgeber Belgien am 18. Juni 1972 im Endspiel gegen die Sowjetunion (3:0) Europameister. Nur zehn Tage später gewinnt der spätere Manager des Klubs mit Bayern München seine erste Meisterschaft. Und bald darauf folgt für ihn die Teilnahme am Fußballturnier der Olympischen Sommerspiele in München. Im exklusiven Interview mit der Redaktions-Kooperation G14plus, der auch die NOZ Medien angehören, äußert sich Hoeneß zu all dem - und auch zu aktuellen Fragen.

Herr Hoeneß, was hätten Sie als Manager der UEFA erzählt, wenn es im Saisonendspurt drei Wochen Bundesliga-Pause gegeben hätte wie 1972 wegen der EM?

Im Vergleich dazu müssen wir heute viel mehr aufpassen, das Ganze nicht zu überfrachten. Es ist doch Wahnsinn, die Spieler dermaßen zu überlasten vor einer Saison mit der WM im Winter und Woche für Woche drei Spielen. Vier Länderspiele der Nations League zum Saisonende waren unverantwortlich. Wie sollen sich physisch kaputte Spieler für einen Wettbewerb ohne Sinn und Zweck motivieren? Bei aller Attraktivität der Spiele gegen Italien und England glaube ich nicht, dass das Interesse wirklich groß gewesen ist. Der Fußball muss auch mal zur Ruhe kommen. 1972 gab es das andere Extrem: Zwei Spieltage vor Saisonschluss war der EM-Zeitpunkt sicher auch nicht richtig.

Wie haben Sie es erlebt, damals selbst durchzustarten?

Bis zu den Olympischen Spielen war ich ja Amateur. Es hatte niemand damit gerechnet, dass ich so schnell zur A-Mannschaft gehöre. Dass ich ein tolles Spiel wie in Wembley als Jüngster an der Seite großartiger Stars miterleben durfte, war ein unglaubliches Erlebnis.

Nach dem 3:1-Sieg schwenkte Englands Presse um: vom „deutschen Panzer“ auf „teutonisches Ballett“. War das die beste deutsche Elf?

Es macht keinen Sinn, Generationen miteinander zu vergleichen. Für damalige Verhältnisse hatten wir aber eine Übermannschaft, waren in Europa allen dermaßen überlegen. Viele von damals könnten auch heute gut mitspielen.

Was bedeutete der Status Olympia-Amateur?

Zwar durfte ich in der Bundesliga spielen, war aber in Umgehung der Paragrafen auf der Bayern-Geschäftsstelle angestellt, verdiente 1200 D-Mark brutto, dazu 20000 D-Mark Handgeld. Für damalige Verhältnisse viel, aus heutiger Sicht wenig. Unterschrieben hatte ich die Vereinbarung mit 18 Jahren, vor meiner rasanten Entwicklung.

Hat sich das gelohnt für „Olympia dahoam“?

Als Europameister war ich Aushängeschild unserer Mannschaft. Um ehrlich zu sein: Dem bin ich nicht immer gerecht geworden. Mit 20 Jahren war ich noch keine Führungsfigur. Die Gegner aus dem Ostblock traten mit richtigen Nationalmannschaften an, mit Staatsamateuren, die nichts anderes machten als für ihr Land zu spielen. Wir hingegen waren eine wirkliche Amateurmannschaft. Mit talentierten Spielern, die solche Turniere nicht gewohnt waren. Zumeist junge Leute ohne viel Erfahrung, später große Namen wie Ottmar Hitzfeld oder Manfred Kaltz. Gegen die Ostblock-Superprofis konnten wir nicht bestehen.

Hatte das 2:3 verlorene „Bruderduell“ für die BRD ähnlichen Stellenwert wie für die DDR?

Klar, es war eines der ersten Spiele Ost gegen West, bei dem es um etwas ging. Das war hochpolitisch. Grundsätzlich war es für die Bundesrepublik ein wichtiges Zeichen nach draußen in die Welt, Olympische Spiele zu veranstalten.

Wie wohnte es sich im olympischen Dorf?

Eine wirklich tolle Geschichte und Neuland für mich. Vor allem der direkte Kontakt zu Tausenden von Athleten, zu Superstars, etwa in der Mensa, wo auch wir gegessen haben. Aber dann hat der Überfall auf das israelische Haus schlagartig alles verändert. Es waren nicht mehr die Olympischen Spiele, auf die man sich gefreut hat.

Wie erlebten Sie diese Tage?

Der ARD-Journalist Winfried Scharlau nahm mich mit in sein Büro, von dort blickte man auf den Hubschrauberlandeplatz, zu dem Geiseln und Attentäter im Bus kamen. Eine gespenstische Situation. Ich hatte Angst! Nach unserem Zwischenrunden-Aus sollten wir weiter im olympischen Dorf bleiben. Doch ich habe Trainer Jupp Derwall gefragt, ob ich nach Hause könne, durfte das auch. Man war in Sorge, dass Weiteres passieren könnte, durch kolportierte Meldungen, ein neues Kommando sei auf dem Weg nach München.

War die Fortsetzung der Spiele richtig?

Anfangs dachte man, das ginge gar nicht. Aber es hätte wohl Nachahmer dazu gebracht, so etwas zu wiederholen, wenn man damit – in Anführungszeichen – Erfolg haben kann. Im Nachhinein war „The games must go on“ der richtige Spruch!

Zwischen EM und Olympischen Spielen haben Sie Ihre erste Meisterschaft mit dem FC Bayern gewonnen – am letzten Spieltag gegen Verfolger Schalke.

Wirklich ein Endspiel, erstmals Bundesliga im tollen Olympiastadion mit einem Rasen wie mit der Nagelschere geschnitten. Wir gewannen 5:1. In dieser Saison sind uns 101 Tore gelungen, bis heute Bundesliga-Rekord. Mir war es vergönnt, mit dem 4:1 die 100 vollzumachen.

Das war Auftakt zum ersten Titelhattrick eines Klubs – vergleichbar mit der aktuellen Dominanz?

In der Bundesliga hatten wir nicht die jetzige Dominanz. Nicht nur 1972 ging es ganz eng zu. Ungewöhnlich war, dass wir nach 1974 auch in den beiden nächsten Jahren den Europapokal der Landesmeister gewannen, obwohl wir in der Bundesliga Probleme hatten. International konnten wir uns auf den Punkt konzentrieren.

Jetzt erwartet Borussia Dortmund, wie Hans-Joachim Watzke sagt, einen Münchner „Einbruch“.

Das hoffen sie seit zehn Jahren. Warum soll es im elften passieren? Dortmund wird aber unser großer Konkurrent bleiben.

Was sollte die Bundesliga vorrangig anpacken?

Als Auswirkung der Pandemie hatte ich befürchtet, dass die Zuschauer nach Wiederzulassung des Publikums nicht mehr zu den Spielen kämen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Stadien sind voll, die Stimmung ist überragend. Die Unternehmungslust der Menschen hat insgesamt nicht nachgelassen. Davon wird der Fußball mit seiner Anziehungskraft sehr profitieren. Was mich mit Sorge erfüllt, ist die Diskrepanz zwischen dem deutschen Fußball, dem französischen mit Ausnahme von Paris St. Germain und teilweise dem italienischen gegenüber Ländern, die vor allem arabisches Geld, aber auch amerikanisches in Milliardenhöhe haben. Wenn die Bundesliga – das gilt nicht für Bayern München – nicht darüber nachdenkt, die 50+1-Regel aufzulösen, werden wir große Probleme haben, international auf Dauer mithalten zu können.

Wird der Stellenwert der Bundesliga kleingeredet?

Unglaublich geschadet hat das Schwächeln von Traditionsvereinen in den letzten Jahren. Teilweise war die 2. Bundesliga bis auf die Spitze fast attraktiver als die Bundesliga. Daher bin ich glücklich, dass Bremen und Schalke wieder in der Bundesliga spielen, der HSV wird das hoffentlich auch bald schaffen. Die Bundesliga braucht solche Vereine, um ihre Attraktivität als Gesamtgebilde zu bewahren. Überhaupt nichts gegen Bielefeld oder Fürth: Wenn sie es sportlich schaffen, schaffen sie es. Aber für die Außenwirkung ist eine Bundesliga mit Werder, Schalke und HSV schon besser.

Mehr Informationen:

Ulrich „Uli“ Hoeneß (*5. Januar 1952 in Ulm) wechselt 1970 als Jugendnationalspieler zum FC Bayern München. Dort erarbeitet er sich auf Anhieb einen Stammplatz, ab 1972 auch in der Nationalelf. In seinem  sechsten Länderspiel (von 35) wird Hoeneß Europameister, zwei Jahre später Weltmeister. Mit seinem Verein gewinnt er drei Meisterschaften (1972–1974), 1971 den DFB-Pokal, dreimal den Europapokal der Landesmeister, die heutige Champions League (1974–1976) und 1976 den Weltpokal. Mit 27 beendet er seine Karriere wegen einer Knieverletzung und wird Manager des FC Bayern. Er entwickelt sich zum Visionär und Pionier des deutschen Profifußballs sowie zum Baumeister des FC Bayern, der mit ihm 57  Titel gewinnt. Von 2002 bis 2009 ist er stellvertretender Vorstandsvorsitzender, anschließend Präsident und Aufsichtsratschef. Diese Ämter übernimmt Hoeneß nach einer Gefängnisstrafe wegen Steuerhinterziehung Ende 2016 und bis 2019 zum zweiten Mal. Heute ist er Ehrenpräsident und  Aufsichtsratsmitglied.  

Auch Sie haben sich zum Thema Robert Lewandowski geäußert.

Ins Detail möchte ich nicht gehen. Ich habe mich der Position des FC Bayern angeschlossen: also von dem Recht Gebrauch zu machen, dass der Vertrag erfüllt wird, wenn keine Alternative gefunden wird. Und ich gehe davon aus, dass Robert das am Ende so akzeptiert.

Auch ohne operatives Amt lassen Sie nicht wirklich los?

Erstens gehöre ich nach wie vor dem Aufsichtsrat an, der bei uns sehr einflussreich ist. Zweitens: Wenn mein Rat gefragt wird, wird er gegeben. Wenn er nicht gesucht wird, dann nicht. Ganz einfach. Der FC Bayern ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Und wenn ich merke, dass Hilfe gebraucht wird, biete ich sie an. Wenn gewisse Dinge nicht laufen, kann ich nicht zuschauen und im Wald spazieren gehen.