Bild nicht mehr verfügbar.

Sie zählten zu den Helden der Krise: Mitarbeiter im Lebensmittelhandel

Foto: Picturedesk

STANDARD: Corona legte den Handel wochenlang still. Essen beim Wirten gibt es erst im Jänner wieder. Für Supermärkte galt der Lockdown nie. Machen Sie heuer das Geschäft Ihres Lebens?

Haraszti: Wir wachsen deutlich stärker als in den Vorjahren. Der höhere Umsatz ist nicht wegzudiskutieren. Wir sind die letzte Branche, die sich beklagen darf. Aber wir investieren viel in Hygienemaßnahmen, in den Schutz der Mitarbeiter und Kunden. Und wir zahlen Prämien.

STANDARD: Der Lebensmittelhandel hat sich stets kannibalisiert, nun erlebt er starke Wachstumsschübe.

Haraszti: Durch den Lockdown brach das Mittagsgeschäft weg. Trocken- und Frischesortiment haben es überkompensiert. Der Spannenmix wurde aber unattraktiver. Dennoch haben wir am Ende des Tages auch höhere Erträge. Ein Teil davon fließt in Plexiglas, Masken, Desinfektion und zusätzliche Mitarbeiter.

STANDARD: Ihre Mitarbeiter stehen seit Beginn der Krise an der vordersten Front, leisteten, wie Sie selbst einmal betonten, Übermenschliches. Wie gelten Sie Ihnen das finanziell ab?

Haraszti: Wir zahlen heuer zwei Prämien. Im Frühjahr waren es 200 Euro je Vollzeitmitarbeiter. Nun sind es erneut 200 Euro. Das Geld kann bei uns im Konzern eingelöst werden.

STANDARD: Mit Verlaub, aber sind 400 Euro nicht sehr bescheiden? Zumal die Gehaltserhöhung für 2021 mit 1,5 Prozent mager ausfällt.

Haraszti: Wir haben 46.000 Mitarbeiter, da geht es unterm Strich um hohe Summen: rund 15 Millionen Euro. Wir haben ab 2022 einen neuen Kollektivvertrag, der die Personalkosten stark belastet, sicher wieder mit einem zweistelligen Millionenbetrag. Im Jahr davor muss die Anpassung daher vernünftig sein.

STANDARD: 70 Prozent der Mitarbeiter im Lebensmittelhandel arbeiten Teilzeit. 80 Prozent sind Frauen, die nun mehr denn je gefordert sind. Viele klagen über unterbesetzte Filialen, über ständig wechselnde Arbeitszeiten, die das Familienleben immens erschweren.

Haraszti: Der Handel hat, was seinen Umgang mit Mitarbeitern betrifft, in den 80er- und 90er- Jahren viele Fehler gemacht. Seither wurden gute Maßnahmen gesetzt, die wir verstärken müssen. Wir arbeiten mit Betriebsräten daran, dass die Regeln eingehalten werden. Jeder Mitarbeiter muss 14 Tage im Vorfeld seinen Einsatzplan bekommen. Filialleiter sind angewiesen, auf das familiäre Umfeld ihrer Leute zu achten. Was wir künftig jedoch brauchen, sind flexiblere Arbeitszeitmodelle. Zwei, drei Mitarbeiter könnten sich etwa einen Arbeitsplatz teilen und sich dafür selbst die Stunden einteilen.

STANDARD: Wenn wer krank wird, auf Urlaub geht – verlagern Sie Druck und Risiken hier nicht nach unten?

Haraszti: Es können immer auch andere Mitarbeiter aushelfen oder einspringen, das ist der Vorteil großer Unternehmens. Die Lebensmodelle vieler Mitarbeiter ändern sich und der klassische nine-to-five Job ist für einige nicht mehr attraktiv.

STANDARD: Sie fordern zudem, reguläre Öffnungszeiten von 72 auf 76 Wochenstunden auszudehnen. Das würde zusätzliche Jobs bringen. Die meisten Kindergärten schließen um sechs.

Haraszti: Wir brauchen eine komplette Liberalisierung der Öffnungszeiten. Den Sonntag nehme ich davon aus. Unter der Woche aber an den Randzeiten, zwischen acht und neun Uhr abends: Sie können sich nicht vorstellen, wie viele unserer Mitarbeiter gern hier arbeiten würden, Studenten etwa nach der Uni. Die Zuschläge erhöhen den Verdienst deutlich. Wer nicht will, soll aber nicht länger arbeiten müssen.

STANDARD: Mit der Freiwilligkeit ist es oft nicht weit her. Früher oder später würde der Handel wohl auch an den für ihn teuren Zuschlägen rütteln.

Haraszti: Das lässt sich streng kontrollieren. Was die Zuschläge betrifft: Diese können gern bleiben. Längere Öffnungszeiten werden sicher nicht auf Kosten der Mitarbeiter gehen. In Wien etwa suchen viele Jungunternehmer Marktlücken, sie würden gern abends länger offenhalten. Eine Tankstelle darf rund um die Uhr verkaufen, ein Kiosk darf es nicht. Das ist Doppelmoral. Wir beklagen uns in Österreich ständig über den Onlinehandel, schaffen jedoch keine Rahmenbedingungen, um wettbewerbsfähig zu sein.

STANDARD: Von genereller Sonntagsöffnung für alle halten Sie nichts. Würden Sie sonntags zumindest gerne online Lebensmittel ausliefern?

Haraszti: Ja. Man kann sonntags ja auch eine Pizza bestellen. Am Sonntag sind die meisten Menschen zu Hause. Das sollte kein Tabu sein.

STANDARD: Rewe hat die Onlinekapazitäten heuer stark ausgebaut. Wie viel setzen Sie via Internet um?

Haraszti: Der Umsatz entspricht 17 Billa- und 14 Bipa-Filialen. Wir hatten heuer um 80 Prozent mehr Bestellungen als im Vorjahr und erweitern unsere Kapazitäten hier weiter.

STANDARD: Rechnen Sie damit, dass Amazon im Lebensmittelhandel in Österreich eine große Nummer wird?

Haraszti: Es gibt kein Land, das prädestinierter ist für den Onlinehandel als Österreich. Die Amazon-Manager schmunzeln über Österreich. Sie sind dankbar über die Öffnungszeiten aus den 50er- Jahren. Unsere nachteiligen Rahmenbedingungen für den stationären Handel sind ein Paradies für sie. Amazon wird in den nächsten fünf Jahren sicherlich vermehrt Lebensmittel ausliefern.

STANDARD: Beim "Kaufhaus Österreich" gibt es, gelinde gesagt, viel Luft nach oben. Warum schafft Österreich es nicht, online Akzente zu setzen?

Haraszti: Es gibt hier sehr wohl gute Onlinehändler. Es braucht aber generell mehr Unternehmertum. Auch Scheitern darf nicht tabu sein. In den USA gründet man in 24 Stunden ein Unternehmen, in Österreich ist es ein Spießrutenlauf. Wir sind aber keine Insel der Seligen mit eigenen Spielregeln. Onlinehandel kennt keine Grenzen.

STANDARD: Sie betreiben, nicht zuletzt auch durch wachsende Onlinegeschäfte, große Warenlager. Wie schützen Sie Ihre Mitarbeiter in der Logistik, die für Coronacluster anfällig ist?

Haraszti: Wir haben hier von Anfang an strenge Regeln eingeführt- präventiv und für den Fall, dass jemand positiv getestet wird. Wir testen pro Woche österreichweit tausend Mitarbeiter, mit Schwerpunkt in der Logistik, und wir erhöhen die Zahl der Tests noch einmal. Wir hatten bisher zum Glück kein Cluster. Unsere Logistik-Mitarbeiter sind in Gruppen eingeteilt. Wird wer positiv getestet, geht seine Gruppe in Quarantäne.

STANDARD: Supermärkte durften während des Lockdowns kein Sortiment wie Spielzeug und Elektrogeräte verkaufen. Rewe hielt sich dran. Spar, Hofer und Lidl taten es nicht. Die Regierung sah tatenlos zu. Ist die Macht der Lebensmittelketten so groß, dass diese sich über Vorgaben der Regierung hinwegsetzen können?

Haraszti: Es gab eine Verordnung, wir hielten uns dran. Zudem war es ein Akt der Solidarität mit den Non-Food-Händlern. Wir machen ohnehin genug Umsatz mit Lebensmitteln. Es hat uns sehr verwundert und irritiert, warum die Verordnung nicht exekutiert wurde. Fragen Sie die Verantwortlichen aus der Regierung.

Marcel Haraszti: "Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Mitarbeiter gerne abends arbeiten würden."
Foto: Rewe

STANDARD: Die Regierung nimmt Corona auch als Anstoß für eine Regionalitätsoffensive. Konsumpatriotismus ist gefragt. Wie viele Österreicher können sich diesen finanziell leisten?

Haraszti: Regionalität kostet mehr. Durch Aktionen machen wir diese leistbar. Bei biologischem Obst und Gemüse etwa sind die Preise gesunken. Wir sitzen dabei aber zwischen zwei Stühlen: Landwirte sagen uns, wir seien zu billig. Der Arbeiterkammer sind wir zu teuer. Der Kunde an sich ist aktionsaffin. Nicht jeder will Bio. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt, die Arbeitslosigkeit hoch. Die Nachfrage nach Preiseinstiegsprodukten wird daher größer.

STANDARD: Halten Sie es für klug, weit gereiste Lebensmittel stärker zu besteuern als österreichische?

Haraszti: Ich sehe das kritisch. Zigaretten wurden höher besteuert, geraucht wird deswegen nicht weniger. Konsum ist nicht über Steuern regelbar. Regionale Produkte werden dann mehr Zuspruch erfahren, wenn sie besser sind als andere.

STANDARD: Rohstoffe wie Schweinefleisch werden in Supermärkten regelrecht verschleudert. Jüngst demonstrierten wütende Landwirte vor deren Lager in Deutschland. Was läuft hier auch in Österreich falsch? Warum bezahlen Händler Bauern keine Preise, von denen sie leben können?

Haraszti: Wir arbeiten mit Landwirten vernünftig zusammen, abseits der politischen Stimmungsmache. Österreich hat höhere Aktionsanteile als Deutschland. Aber diese gehen stark auf Kosten der Spannen der Händler. Wir selbst bekennen uns zu 100 Prozent Frischfleisch aus Österreich. Wir zahlen dafür auch etwas drauf, das wissen die Bauern zu schätzen. Es gibt Player, die sich anständiger verhalten als andere. Das Bild im Handel ist differenziert.

STANDARD: Kleine, mittelständische Lieferanten erzählen, dass sie von den Supermärkten tonnenweise Gemüse retour bekommen, weil es offenbar der Norm nicht entspricht. Dass sie preislich massiv unter Druck gesetzt werden, austauschbar gemacht werden.

Haraszti: Wir pflegen einen korrekten, fairen Umgang mit Landwirten und haben zu ihnen langjährige Beziehungen. Österreich hat aber sehr kleinteilige Strukturen. Auf einzelne Bedürfnisse von Kleinstbetrieben einzugehen, ist schwierig. Wir wollen nicht kurzfristig auf Kosten der Landwirte profitieren. Andererseits müssen aber auch sie sich weiterentwickeln. Es gibt Bauern, die in der Vergangenheit verharren. Das geht nicht. Auch wir können nicht agieren wie vor 30 Jahren. Wir würden damit das gleiche Ende nehmen wie Konsum, Meinl oder Zielpunkt.

STANDARD: Was halten Sie von verpflichtender Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel? Ist das umsetzbar und kontrollierbar?

Haraszti: Gastronomie und Handel dürfen hier nicht unterschiedlich bewertet werden. Kantinen, Restaurants, Tourismusbetriebe: Wir wissen nicht, woher ihre Schnitzel kommen. Der Handel ist hier bereits sehr transparent. Ich würde mir das gleiche von den Wirten wünschen. Ihr Bekenntnis zu österreichischem Fleisch wäre doch schön. Bei Milch gehen nur 25 Prozent der Menge in den Lebensmittelhandel. Der große Hebel liegt in der Hotellerie, in der Gastronomie, bei den Großküchen.

STANDARD: Apropos Regionalität: Rewe wollte bis Jahresende sieben Regionalniederlassungen aufbauen.

Haraszti: Sie sind seit November etabliert. Wir sind damit jetzt näher bei Lieferanten und Kunden, wollen die Listung regionaler Produkte beschleunigen. Wir waren, historisch gesehen, eine zentralistische und ostösterreichlastige Organisation.

STANDARD: Ihr großer Rivale Spar hat Rewe bei den Marktanteilen heuer erstmals abgehängt. Schmerzt das?

Haraszti: Wir reduzieren Aktionen zugunsten der Kurantpreise, während der Mitbewerb sie erhöht und während des Lockdowns zum großen Nonfood-Händler avanciert ist. Mir bereiten ein paar unzufriedene Kunden mehr Kopfzerbrechen als 0,1 Prozent weniger Marktanteil.

STANDARD: Arbeiten Sie selbst jetzt eigentlich im Homeoffice?

Haraszti: Ich mache Officehome. Mein Büro ist mein Zuhause. 45.000 Mitarbeiter arbeiten in den Filialen, in der Logistik. Da ist es nur richtig, wenn ich als Vorstand präsent bin.

STANDARD: Haben Sie selbst je in Filialen Regale geschlichtet, in der Feinkost oder an der Kasse gearbeitet?

Haraszti: Ich war nach dem Studium ein Jahr in der Mariahilfer Straße im Stafa. Es waren wertvolle Erfahrungen über das reale Leben. In der Feinkost war ich am liebsten. Ich habe mir damals vorgenommen, nicht zu fragen: "Darf‘s ein bisserl mehr sein?" Ich habe es nur drei Tage lang durchgehalten. (Verena Kainrath, 11.12.2020)