EU-Emissionshandel: Parlament stimmt für ETS-Revision

Das Europäische Parlament hat soeben mit 413 Stimmen dafür, 167 Gegenstimmen und 57 Enthaltungen die Revision des EU-Emissionshandels bestätigt.

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher und Verhandlungsführer der Grünen im EU-Parlament zur Plenarabstimmung des europäischen Emissionshandels:

Atom-Aus in Deutschland, Kohle-Aus in Europa. Das Europaparlament hat den Emissionshandel verabschiedet. Das ist ein historischer Tag für den Klimaschutz!

Damit ist das Ende des Kohlestroms in Europa besiegelt. Das verwirklicht die größte CO₂-Reduktion, die wir in Europa erreichen können.

Wir haben das Prinzip durchgesetzt: Wer die Umwelt schädigt, muss dafür bezahlen. CO₂ hat jetzt seinen wahren Preis. Die Ära der Gratis-Verschmutzung ist vorbei. Das heißt: Wer klimafreundlich produziert, spart bares Geld. Der Emissionshandel schafft Sicherheit und Vertrauen für eine klimaneutrale Zukunft. Wichtig ist: Der Emissionshandel gibt der Industrie den dringend notwendigen Anreiz, sich zu modernisieren.

Aber der CO₂-Markt hat eine soziale Schieflage. Wir können nicht Geld von den Menschen nehmen und ihnen wenig zurückgeben. Der Europäische Klimasozialfond ist viel zu klein. Deshalb fordern wir ein europäisches Klimageld, um den Green Deal zu einem Deal für die Menschen zu machen. Mit dem europäischen Klimageld können wir den Green Deal sozial ausbalancieren.

 

Neben dem ETS wurde auch über den CBAM und den Social Climate Fund abgestimmt. Auch diese hat das EU-Parlament mit breiter Mehrheit bestätigt.

CBAM: 487 Stimmen dafür, 81 Gegenstimmen und 75 Enthaltungen
Social Climate Fund: 621 Stimmen dafür, 75 Gegenstimmen und 43 Enthaltungen

Hintergrund vom 17. April 2023

Die Reform des EU-Emissionshandels (ETS) ist das Herzstück des europäischen Green Deals. Der EU-Emissionshandel deckt bisher ca. 40 % aller EU-Emissionen ab, nämlich die Energiewirtschaft und die Industrie. 2021 umfasst der Emissionshandel circa 1,36 Milliarden Tonnen CO2. Mit der Reform werden die parallelen Handelssysteme ETS 1 (Industrie und Stromerzeugung) und ETS 2 (Gebäude und Verkehr) rund 75% der EU-Emissionen abdecken.

Wie funktioniert der Emissionshandel?

Im ETS werden Berechtigungsscheine zum CO2-Ausstoß (CO2-Zertifikate) gehandelt. Es wird eine absolute Anzahl an Zertifikaten festgelegt (das “cap) die jährlich reduziert wird (“linear reduction factor”). Diese müssen ersteigert werden und können dann von den Marktteilnehmenden weiter gehandelt werden. So entsteht ein CO2-Preis, der aktuell bei über 90 Euro pro Tonne liegt.

Prozessablauf

Am 08. Februar 2023 haben die Botschafter*innen der Mitgliedstaaten die Vereinbarung abgesegnet. Am 09. Februar 2023 hat der Umweltausschuss, der zuständige Ausschuss im EU-Parlament, seinerseits den Deal bestätigt.

Am 18. April 2023 erfolgt die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments. Kurz darauf wird der Rat den Entschluss formell bestätigen. Die neue Richtlinie tritt 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Die Mitgliedstaaten haben dann bis zum Ablauf des Jahres 2023 Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen.

Verhandlungserfolge

  • Bis 2030 wird die Hälfte der freien Zuteilungen Geschichte sein. Auch werden Bedingungen an freie Zuteilungen geknüpft:
    • Audits: Firmen müssen Energieaudits ihrer Produktionsabläufe durchführen und entsprechend der Ergebnisse Dekarbonisierungmaßnahmen durchführen. Tun sie dies nicht, werden ihre freien Zuteilungen um 20 % gekürzt.
    • Malus: Die Produktionsstätten, die zu den 20 % mit der schlechtesten Klimabilanz gehören, müssen außerdem Dekarbonisierungpläne anfertigen. Wenn sie nicht sowohl die Empfehlungen in den Energieaudits als auch de Dekarbonisierungspläne umsetzten, werden ihnen 20% der freien Zuteilungen gekürzt.
  • Schnelle Absenkung der jährlich zur Verfügung stehenden Zertifikate: Emissionen unter dem Emissionshandelssystem 1 werden um 62 % reduziert, das ist noch ein bisschen ambitionierter, als die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte. Bis 2040 wird das “cap” allmählich auf null gesenkt, das heißt, ohne eine weitere Reform wird es ab 2040 keine neuen Zertifikate mehr geben.
  • Einnahmen aus dem ETS bis 2030 werden sich auf circa 500 Milliarden Euro belaufen (sowohl dem bestehenden als auch dem neuen für Transport und Gebäude). Das sind mehr als die Unterstützungsleistungen aus dem US-amerikanischen Inflation Reduction Act. Das meiste davon fließt in das Budget der Mitgliedstaaten. Mitgliedstaaten müssen das Geld für Klimaschutz und -anpassung und für sozialen Ausgleich ausgeben. Auch ein Klimageld, wie der EU-Klimarat bereits empfohlen hat, könnte aus den Einnahmen finanziert werden.


Der Deal im Detail

 

Klimaschutz

  • Bis 2030 sollen die Emissionen um 62 % reduziert werden. Das sind 23 Millionen Tonnen CO2 weniger in der Atmosphäre als die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte.
  • 2024 werden 90 Millionen Zertifikate aus dem Markt genommen (rebasing). 2026 werden dann noch einmal 27 Millionen Zertifikate aus dem Markt genommen.
  • Außerdem wird der gesamte Emissionsdeckel (Cap) zwischen 2024 und 2027 jedes Jahr um 4,3 % abgesenkt, ab 2028 dann um sogar um 4,4 % (Linear Reduction Factor). Wenn diese Kurve bis 2040 weitergezeichnet wird, führt dies bis 2040 zu einer Absenkung auf null, das heißt (ohne weiterer Reformen) wird es im Jahr 2040 keine neuen Zertifikate mehr auf dem Markt geben.
  • Der Zertifikatestaubsauger (MSR) wird weiterhin 24 % der überschüssigen Zertifikate aus dem Markt entfernen, die zwischen definierten Grenzwerten liegen.
  • Zudem verpflichtet sich die Kommission, diese Grenzwerte auf ihre Gebrauchstauglichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls sie so zu abzuändern, dass sie proportional zum LRF absinken und der Marktstaubsauger so mehr Zertifikate aus dem Markt ziehen kann, um historische Überschüsse aus dem Markt zu bekommen und neue zu verhindern.
  • Die Seeschifffahrt wird schrittweise in den Emissionshandel einbezogen. 2024 müssen alle größeren Schiffe (> 5.000 Bruttoraumtonnen), die europäische Häfen anlaufen, für 40% ihrer Emissionen Zertifikate kaufen.
    • 2025 gilt dies für 70%, und ab 2026 für 100%.
    • Ab 2026 müssen neben CO2 auch für Methan und Lachgas Zertifikate gekauft werden.
    • Berechnet wird jeweils die Hälfte der Strecke von einem außereuropäischen Hafen, in dem Fracht geladen oder gelöscht wurde; bis 2028 soll die Kommission überprüfen, ob dies auf die gesamte Strecke ausgeweitet wird und auch kleinere Schiffe einbezogen werden.
  • Emissionen in der Abfallverbrennung werden ab 2024 überwacht und ab 2028 sollen sie in den Emissionshandel aufgenommen werden. Mitgliedstaaten haben allerdings die Möglichkeit, nach Erklärung die Anwendung auf 2030 zu verschieben.
  • Mitgliedstaaten sind dringend aufgefordert, die Zertifikate, die durch den nationalen Kohleausstieg überflüssig werden, aus dem Emissionshandelssystem zu löschen. Wenn sie dies nicht tun, müssen sie erklären, warum sie das nicht tun.


Freie Zuteilungen

Bis 2030 wird knapp die Hälfte der freien Zuteilungen gestrichen. Bis Ende 2034 gibt es dann gar keine freien Zuteilungen mehr für die stark emittierenden Sektoren, die unter den neuen CO2-Zoll (CBAM) fallen. Bis dahin soll der CO2-Zoll vollständig eingeführt sein. Ein klares Signal für die Industrie, jetzt in dekarbonisierte Prozesse zu investieren.

Die Kurve, nach der die freien Zuteilungen reduziert werden, während der CO2-Zoll eingeführt wird, sieht folgendermaßen aus:

 

Bedingungen für freien Zuteilungen

  • Audits: Firmen müssen Energieaudits ihrer Produktionsabläufe durchführen und entsprechend der Ergebnisse Dekarbonisierungsmaßnahmen durchführen. Tun sie dies nicht, werden ihre freien Zuteilungen um 20 % gekürzt.
  • Malus: Die Produktionsstätten, die zu den 20 % mit der schlechtesten Klimabilanz gehören, müssen außerdem Dekarbonisierungspläne anfertigen. Wenn sie nicht sowohl die Empfehlungen in den Energieaudits als auch de Dekarbonisierungspläne umsetzten, werden ihnen 20 % der freien Zuteilungen gekürzt.
  • Die Kommission geht davon aus, dass aufgrund dieser Bedingungen 75 Millionen Zertifikate mehr versteigert werden, also die Industrie fürs Emittieren bezahlen muss. Die entsprechenden Einnahmen sollen dann zur Hälfte in den Innovationsfonds fließen und dadurch die Dekarbonisierung der Industrie vorantreiben. Die Hälfte soll den Mitgliedstaaten zugutekommen, die damit vor allem Exportsektoren, die von nun an dem CO2-Zoll unterliegen, unterstützen sollen.
  • Benchmarks: Freie Zuteilungen werden weiterhin auf Höhe der sogenannten Benchmarks an Produktionsstätten gegeben. Die Benchmarks sind die Zielgrößen für energieeffiziente (und damit emissionsarme) Produktion.
    • Bis 2026 werden die Benchmarks neu aufgesetzt und sollen von jetzt an nach Produkten und nicht mehr nach Prozessen definiert werden. Das heißt, verschiedene Produktionsweisen, die aber das gleiche Ausgangsprodukt haben, werden nun nach dem gleichen Maßstab gemessen.
    • Außerdem wird in den Benchmarks in Zukunft auch das Potenzial für Kreislaufwirtschaft von Produkten in Betracht gezogen.
    • Darüber hinaus werden die Benchmarks ab sofort jährlich mindestens um 0,3 % erhöht.
  • Exporte: Zusätzlich zu der Unterstützung durch zusätzliche Gelder aus dem “malus system", soll die Kommission analysieren, ob Exportsektoren auch unter dem CO2 Zoll genug geschützt sind, sollten sie das nicht sein, muss die Kommission neue Maßnahmen vorschlagen, um den Schutz zu gewähren.
  • Freie Zuteilung für Kohle (Artikel 10c) wird es nicht mehr geben.

Einnahmen aus dem ETS

  • Dem Innovationsfonds sollen 575 Millionen Zertifikate zugeführt werden. Bei einem Durchschnittspreis von 80 Euro sind das 46 Milliarden Euro bis 2030. Das Parlament wollte über 1 Milliarde Zertifikate zugunsten des Innovationsfonds versteigern und somit das Geld, das den Vorreiter*innen der Industriewende zugute kommen, verdoppeln.
  • Mitgliedstaaten sind von nun an verpflichtet, 100 % ihrer Einnahmen in Klimamaßnahmen zu investieren.
  • Der Modernisierungsfonds wurde zur Modernisierung der Wirtschaft in weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten aufgesetzt. Die Einnahmen, die in den Modernisierungsfonds gehen, dürfen zumindest teilweise weiterhin für Gas ausgegeben werden, allerdings muss die “do no significant harm” Prüfung durchgeführt werden. Das Parlament wollte jegliche fossile Investitionen mit diesem Fonds verhindern.

ETS für Wärme und Verkehr und Klimasozialfonds

Für den Gebäude- und Transportsektor wird ab 2027 ein neuer Emissionshandel (ETS 2) parallel zu schon bestehenden eingeführt. Neben Haushalten fallen auf Drängen des Parlaments auch kleine Unternehmen unter den neuen Emissionshandel.

  • Der Preis ist bis 2030 auf 45 Euro gedeckelt.
  • Um bedürftige Haushalte zu unterstützen und Investitionen zu tätigen, um die Emissionen zu senken, wird der Klimasozialfonds eingeführt. Dieser wird bereits ein Jahr bevor der neue Emissionshandel in Kraft tritt Bürger*innen Gelder zur Verfügung stellen. Über den Zeitraum 2026-2032 werden so 86,7 Milliarden Euro für soziale Klimamaßnahmen bereitgestellt, die von Gebäuderenovierung von Sozialbauten bis hin zur direkten Einkommensunterstützung reichen.
  • Wenn die Energiepreise (Öl und Gas) außerordentlich hoch sein sollten, wird der neue ETS 2 nicht in 2027 eingeführt, sondern erst ein Jahr später (emergency break).
  • Energieversorger müssen der Kommission offenlegen, wie viel der Kosten der Emissionszertifikate sie an die Endkonsumenten weitergeben. Stellt die Kommission Fehlverhalten, z.B. unlautere Preisaufschläge, der Energieversorger fest, darf sie Maßnahmen ergreifen, diesen Einhalt zu gebieten (cost pass through).
  • 50 % der Einnahmen aus dem ETS 2 werden an die Mitgliedstaaten gehen, aber auch diese müssen die Gelder für soziale Klimamaßnahmen vor allem im Gebäude und im Verkehrssektor nutzen.

Was bedeutet der ETS 2 für Verbraucher*innen?

  • Ein CO2-Preis von 50 €/tCO2 würde den Preis für Benzin um etwa 10 Eurocent pro Liter und den Preis für Diesel um etwa 12 Eurocent pro Liter steigen lassen (falls er vollständig an die Endverbraucher weitergegeben wird).
  • Auswirkung eines CO2-Preis von 50 €/tCO2 auf EU27-Einkommensziele: Die Haushalte im ärmsten Dezil würden etwa 0,5 % ihres Einkommens verlieren, während der Verlust für Haushalte im reichsten Dezil etwa 0,35 % betragen würde.
  • Zur Vereinbarkeit von ETS 2 und dem deutschen BEHG (Brennstoffemissionshandelsgesetz): Im Februar 2022 skizzierte das Ariadne Projekt den Zusammenhang folgendermaßen: https://ariadneprojekt.de/publikation/hintergrund-weiterentwicklung-co2-bepreisung/.