Zusammenfassung
Der Beitrag diskutiert die bevorstehenden Herausforderungen für ein Regierungshandeln, das sich künftig immer häufiger mit den Folgen des Einsatzes algorithmischer Systeme auseinandersetzen muss. Ausgehend von dem 2018 eingesetzten Boom rund um den Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI) hat sich im internationalen Zusammenhang eine komplexe Akteurslandschaft entwickelt, der auf unterschiedlichen administrativen Ebenen durch verschiedene Maßnahmen begegnet wird. Im ersten Teil wird daher die Vielfalt politischer Programme und Initiativen skizziert, die auf eine erhebliche Ausdifferenzierung dieses Bereichs einer „Politik für die digitale Transformation“ hinweisen. Auch wenn dieser Prozess unübersichtlich, sprunghaft und in Teilen redundant erscheint, so sind die Entwicklungen dennoch als angemessene Form des Umgangs mit einer neuen, unfertigen technologischen Innovation zu charakterisieren. Im zweiten Teil des Beitrags fällt der Blick auf bereits vorhandene Politikansätze, die sich an der Regelung eines weiteren, ähnlich komplexen Gegenstandsbereichs versuchen, der zumindest bislang noch ohne Künstliche Intelligenz auskommt – nämlich der technologieorientierten Modernisierung von Wahlprozessen. Unsere These verbindet die beiden Bereiche und verweist auf einen unerwarteten Ort transformationsorientierter Gestaltung: Die in einigen Ländern bereits entwickelten Zulassungs-, Prüf- und Kontrollverfahren für unterschiedliche Formen von Wahltechnologie können als Blaupause für die zukünftig anstehende politische Regulierung von algorithmischen Systemen in unterschiedlichen Nutzungskontexten verstanden werden.
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Notes
- 1.
In den USA war das Wahl-Chaos rund um die Präsidentschaftswahlen 2000 der Auslöser für den Help America Vote Act, in dessen Folge finanzielle Mittel zur Verbesserung der Wahlorganisation bereitgestellt wurden und mit der EAC zumindest eine Anlaufstelle für election officials in den Bundesstaaten entstanden ist (vgl. National Academies 2018). In Estland wurde 2017 eine neue, eigenständige Wahlbehörde eingerichtet, nachdem die Nutzung des bereits etablierten Online-Wahlverfahrens angestiegen war und das System sukzessive erweitert wurde.
- 2.
Der gesteigerte Einsatz technisierter Wahlverfahren führt häufig dazu, dass die Abstimmungsvorgänge nicht mehr an einem einzelnen „Wahltag“ stattfinden, sondern dass durch Formen des early voting (USA) oder der Möglichkeit einer wiederholten Stimmabgabe (Estland) mehrwöchige Abgabezeiträume entstehen.
- 3.
Dies ist insbesondere im internationalen Vergleich relevant, da das estnische iVoting-Verfahren von externen Akteuren überprüft und kritisiert worden ist (ähnlich wie der Einsatz von Wahlgeräten in Deutschland durch den Chaos Computer Club). Vgl. dazu die Ausführungen unter http://estoniaevoting.org sowie Ehin et al. (2022: 4 f.).
- 4.
Um den Zusammenhang systematisch nachzuweisen, sind weiterführende vergleichende Untersuchungen notwendig. Die Autor:innen des Beitrags befassen sich im Rahmen des Forschungsprogramms Digitale Demokratische Innovationen am Center for Advanced Internet Studies (CAIS, cais-research.de) mit dieser Thematik, eine entsprechende Studie ist in Vorbereitung.
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Goldmann, A., Bieber, C. (2023). Wahlen sind auch nur ein Algorithmus, oder: Zur Politischen Regulierung von Künstlicher Intelligenz. In: Korte, KR., Richter, P., von Schuckmann, A. (eds) Regieren in der Transformationsgesellschaft. Studien der NRW School of Governance. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41285-2_25
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